27 Jahre alt, Ägypter, 1855 in Alexandria geboren
Ich heisse Abd al-Fattah al-Sisi und ich bin als viertes von 7 Kindern geboren worden. Mein Vater heißt Ahmed al-Sisi und er ist in Alexandria überall als der Fischer der Stadt bekannt. Wir haben vier Boote und unsere Mannschaften holen fast immer den besten Fang nach Hause. Meine Familie hat eine lange Tradition. Manche sagen sogar, unser Geschlecht reicht bis in die Zeit der Pharaonen zurück - das glaube ich zwar nicht, aber der Klang unseres Namens lässt Ägypter stets mit den Augen rollen, wenn unser Name fällt.
Wenn im Hochsommer Flaute für den Fischfang war, ist mein Vater immer nach Kairo gefahren und war für 2 bis 3 Monate weg. Als ich 22 Jahre alt war, hat er mich das erste Mal mit nach Kairo genommen. Meine beiden großen Brüder mussten bei unseren Booten und den Fischern bleiben und auch den Sommer über weiter den Fischfang beaufsichtigen.
In Kairo lernte ich dann meinen Vater auf eine ganz neue Art kennen. Er war nicht mehr der große Fischer, zu dem alle aufschauten, sondern nur ein Ägypter, der zu tun hatte, was die Europäer wollten. Er arbeitete dort nämlich als Ausrüster für die Archäologen aus England und Deutschland, die alle die Totenstätten als der Zeit der Pharaonen ausgraben wollten.
Gleich bei meiner ersten Reise durfte ich mit auf eine Expedition den Nil hinauf. Ich habe aber schnell mitbekommen, dass wir Ägypter nur die unbedeutenden Handlanger für die Herren aus Europa sein durften. Wir mussten die ganze Arbeit machen und die Europäer haben dann alles, was die Ägypter ausgegraben hatten, für sich und ihre Museen beansprucht.
Mein Vater erklärte mir, dass er das nicht richtig finden würde und nahm mich in der dritten Nacht, als alle früh schlafen gegangen waren, mit zurück zu unserer Ausgrabungsstätte und wir haben heimlich mit Fackeln in den Gängen und Kammern nach Fundstücken gesucht. „Es sind die Relikte unserer Vorfahren“, sagte mein Vater, „und ganz sicher nicht dafür gemacht worden, um in den Museen der Kolonialherren zu verschwinden“. Viel hatten wir da ja nicht gefunden, die eine oder andere Statuette aber schon. Bei einem anderen Mal aber fanden wir einen wunderschönen goldenen Armreif und später noch einen tollen Krug. Die Sachen haben wir in unserem Zelt versteckt und am Ende der Reise mit nach Alex genommen.
Ich habe dann noch zwei weitere Expeditionen mit meinem Vater unternommen. Jedes Mal kam mir die Bevormundung der kolonialen Ausgrabungsleiter aber schlimmer und unerträglicher vor und jedes Mal gingen wir heimlich in der Nacht wieder zu den Ausgrabungsstätten zurück und bargen mehr und mehr Schätze.
Zu Beginn der zweiten Reise kam ein Kardinal in unser Lager. Er sollte die Ausgrabungen segnen, glaube ich. Mit einem wahrhaft bombastischem Getöse wurde er in unser Lager geführt. Es war irgendwie lächerlich. Ich konnte damals schon recht gut Englisch und ganz passabel Deutsch verstehen, aber die Verse, die der Kardinal zum Besten gab, waren mir gänzlich unverständlich. Es war wohl Latein, wie man mir später sagte.
Am Abend wurde dann ein großes Fest veranstaltet. Wie sich herausstellte, war Kardinal Ruffo nämlich ein sehr guter Freund von Sir Norman Henry dem IV, unserem Expeditionsleiter. Sie feierten bis spät in die Nacht und plötzlich, nach einer hitzigen Debatte zwischen den beiden, zeigte der Kardinal auf mich und man hieß mich näher zu treten. Hamdi wurde gerufen und musste übersetzen, was der Kardinal zu sagen hatte. Das war eigentlich gar nicht nötig, denn ich verstand die englischen Worte des Kardinals problemlos. Mein Vater aber hatte mir streng geboten, niemanden wissen zu lassen, dass ich die Sprachen der Kolonialherren sehr gut verstand. Er war überzeugt davon, meine scheinbare Einfalt würde mir eines Tages von großem Nutzen sein. So mühte sich Hamdi redlich, die Worte des Kardinals ins Arabische zu übersetzen. Ich machte immer erst große Augen und sah erstaunt aus, wenn Hamdi gesprochen hatte. Das fiel mir auch nicht schwer, denn seine Übersetzung unterschied sich doch kräftig von dem, was der Kardinal gesagt hatte. Nicht so sehr vom Inhalt, aber doch gewaltig in der Form. Die einfachen, betonungslos vorgetragenen Sätze von Ruffo verwandelten sich durch Hamdis Mund in ein Meer von Blumen und Sonnenschein. Kurz gesprochen bot mir der Kardinal Kraft seiner christlichen Güte an, ihn zwei Jahre lang begleiten. Er würde für mich sorgen und mir in Sprache und Manier eine vortreffliche Ausbildung zukommen lassen, sodass ich in zwei Jahren selbst als angesehener Dolmetscher würde arbeiten können.
Ich bedankte mich überschwänglich für diese Ehre und erbat mir aber doch höflich eine Nacht Bedenkzeit, weil das so aus heiterem Himmel auf mich einstürzen würde. Ich war fest entschlossen, noch in selbiger Nacht zu fliehen, denn ich hatte kein gutes Gefühl bei Ruffo und nicht die geringste Lust, zwei Jahre mit ihm zu verbringen, aber diese Geste ablehnen ging natürlich auch nicht.
Als ich schon drauf und dran war, mich aus dem Staub zu machen, betrat mein Vater unser Zelt und berichtete mir den eigentlichen Grund für das „Angebot“ des Kardinals. Er hatte den vorangegangenen Disput zwischen Ruffo und Sir Norman mit angehört, denn niemand ahnte, dass mein Vater Deutsch und Englisch fast so gut verstand wie ich. Tatsächlich war unser alter Hauslehrer Fatih, der solange ich mich erinnern kann, bei uns in Alex lebt und der meine Brüder und mich seit Jahren unterrichtete, auch schon der Lehrer meines Vaters gewesen. Und auch das hatte bereits schon eine Tradition, ... aber ich schweife ab.
Mein Vater offenbarte mir eine Wette zwischen Ruffo und Sir Norman. Ruffo hatte gewettet, einen x-beliebigen Ägypter, sei er auch noch so faul und ungebildet, innerhalb von zwei Jahren in einen zivilisierten Menschen verwandeln zu können, nur durch die Kraft des christlichen Glaubens. Sir Norman bezweifelte das entschieden! In seinen Augen war es unmöglich, die Ideen der westlichen Demokratie auf Menschen zu übertragen, die so ungeschliffen, unsensibel und intellektuell so unterentwickelt waren, wie die Ägypter.
Ich fand das war eine unglaubliche Schweinerei, und konnte gar nicht glauben, für was die Europäer sich hielten und im Stande glaubten. Mein Vater aber machte mir klar, dass es eine unglaubliche Chance wäre, die mir hier geboten wurde. Ich sollte meinen Stolz hinunter schlucken und in Demut mitgehen. Damit ich die Europäer in ihren Heimen genau studieren und alle ihre Schwächen aufdecken lernen könnte. So würde ich stark und mächtig genug werden, um eines Tages nach Ägypten zurückzukehren, und unser Land von den Europäern befreien!
Das war also der Plan meines Vaters gewesen! Schlagartig wurde mir klar, dass er mich nur aus dieser wagen Hoffnung heraus mit zu den Ausgrabungen genommen hatte. Und er hatte mich meinen älteren Brüdern vorgezogen, weil ich immer viel besser und schneller beim alten Fatih gelernt hatte, als sie. Natürlich ließ ich mich umstimmen und reiste am nächsten Tag mit Kardinal Ruffo ab.
Das ist nun fast 2 Jahre her und ich lebe seitdem, mit mehreren Reiseunterbrechungen nach Frankreich, Deutschland und Italien, in London. Kardinal Ruffo ist alles andere als ein herzlicher Mann, aber er ist mir inzwischen recht wohlwollend gesonnen, denn ich habe in einem für ihn höchst „erstaunlichen“ Tempo Englisch sprechen gelernt. Ob er allerdings wirklich glaubt, dass dies durch seine Religion möglich wurde, bezweifle ich. Sicher kann man aber nicht sein. Ruffo lässt sich niemals in die Karten sehen.
In einem guten Monat ist es endlich soweit und wir fahren zurück nach Ägypten. Dann kommt mein großer Auftritt und ich muss Sir Norman, der wieder in Kairo graben wird, zeigen, wozu der Christliche Glauben im Stande ist. Später werde ich dann allen zeigen, wozu Allah und Mohammed fähig sind. Aber, wenn ich eins wirklich von Ruffo gelernt habe, dann meine Pläne nicht vor der Zeit zu offenbaren ...