Die Sammlung
 
Bogarde, Hahman, Kipling, Slecht                                                    

Mein lieber Alfred,				                                                  

endlich bin ich wieder im Deutschen Reich und seit zwei Tagen dabei, die verschiedensten Dinge aus meinen Reisekisten auszupacken. Vor allem aber natürlich die ungeheure Sammlung an Käfern, die ich in den letzten zwei Jahren gesammelt und präpariert habe, nimmt den Hauptteil meiner Zeit in Anspruch. Mit jedem Expeditionsgegenstand aber, den ich auch schon bei unserer letzten, gemeinsamen Reise im Gepäck hatte, muss ich an Dich denken und kann es gar nicht glauben, dass Du bereits seit zwei Jahren in einem Sanatorium in Genf Logie hältst. Tiefe Trauer erfüllt meine Brust. Ist es wirklich schon drei Jahre her, seitdem wir uns gesehen haben?

Ich war wirklich zu lange in Afrika, denn ich erinnere mich nicht mehr genau. Zu viele Käfer und zu viel Sonne. Vielleicht ist aber auch das Tropenfieber schuld, dass mich letzten Herbst im Kongo erwischt hat... Das ist sehr unangenehm: Schwäche und Schüttelfrost sind nur die harmlosen Symptome. Viel schlimmer ist der Gedächtnisverlust und die plötzlichen Ohnmachtsanfälle, unter denen ich noch immer von Zeit zu Zeit leide. Das haut jedes mal selbst meine Pferdenatur zu Boden. Ganz plötzlich wird mir schwarz vor Augen, die Knie sacken weg und ich habe keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Manch schmerzhafte Beule habe ich mir bereits auf diese Art und Weise zugezogen. Nun ja, vielleicht geht es dir ja schon in ein paar Tagen besser, und wir können uns doch noch sehen, bevor ich das Deutsche Reich wieder verlassen muss. Sicher aber wird der Aufenthalt in Hermance bei Dr. Nägli zu deinem Besten sein. Möglicher Weise kannst du ja auch mal eine Kutschfahrt nach Genève unternehmen und ganz befreit ein paar ausgelassene Stunden verleben.. so ganz ohne Frau und Kind. So ein Nervenleiden muss doch in den Griff zu kriegen sein!

Ich muss jedenfalls heute noch in die Redaktion des Monatlichen Wissenschaftsblattes. Seltsam, denn es ist schon so lange her, dass ich dort war. Aber der Chefredakteur, Dr. Joachim G. Morgenstern, hat ausdrücklich nach mir verlangt, damit ich einen sehr wichtigen Artikel zusammen mit Dagobert Kipling schreiben soll. Den alten Kipling habe ich ja auch schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich bin sehr gespannt, über was wir berichten sollen.

einige Stunden später, am frühen Abend
Na, das war ja recht enttäuschend. Morgenstern hatte nicht gerade viel Zeit für uns. Es reichte lediglich dafür, uns zu instruieren, dass wir eine Sammlung dokumentieren sollen und dass sich diese in Altenberg befindet und von einem Professor Wurtekaast verwaltet wird. Aber noch nicht einmal um welche Exponate es sich bei der Sammlung handelt, konnte er uns sagen. Wir müssen jedenfalls Morgen früh um 7:00 Uhr am Bahnhof sein. Ein gewisser Dr. Hermann Julius Tleiwitz wird uns dann alles weitere erklären. Im Übrigen ist die Dokumentation der Sammlung ausschließlich die Idee von Tleiwitz und ausser ihm kommt nur noch die Zeichnerin Hertha Grotefeld mit uns. 
Der Zufall wollte es, dass wir in dem Redaktionsarchiv mit einem Mann Namens Piotr Slecht ins Gespräch kamen, der sich als Detektiv zu erkennen gab. Da Kipling schon von seiner Agentur gehört hatte, engagierten wir ihn sogleich, um den Dr. und die Zeichnerin aufzusuchen und heraus zu bekommen, worüber wir denn eigentlich einen Bericht schreiben sollen, um gegeben Falls noch eine Vorrecherche zu unternehmen.

Wir sind dann erstmal in das Journalisten Café neben der Redaktion gegangen und haben ein feines Herrengedeck zu uns genommen, um einwenig zu plaudern nach so langer Zeit. Kipling kennt wirklich jeden Hans und Franz aus der Schreiberszene und weiss die eine und die andere ganz vortreffliche Geschichte zu erzählen. Nicht lange und eine Frau bat darum, sich zu uns an den Tisch setzen zu dürfen. Sie war ganz aufgeregt, denn sie gab an, mich zu kennen und erkundigte sich nach unserem gemeinsamen Freund, dem Assistenzarzt von Dettendorf aus Heidelberg, wie es ihm ginge und wo er sich denn jetzt aufhalten würde.. 

Leider konnte ich mich beim besten Willen nicht an von Dettendorf und erst Recht nicht an diese aufgeregte Frau, die sich übrigens als Fräulein Ernestine Gustava Hamann vorgestellt hatte, erinnern. Nachdem sich Fräulein Hamann aber bei mir das dritte Mal auf die selbstverständlichste und eindringlichste Art nach ihm erkundigte, gab ich vor, mich nun doch zu erinnern - es sahen bereits alle umliegende Tische zu uns herüber - nur um bedauerlich anzufügen, dass ich von Dettendorf leider schon etwas länger aus den Augen verloren hätte, da ich die letzten zwei Jahre in Afrika gearbeitet hätte. Na, das war nun ganz das Falsche, das ich hätte sagen können, denn Fräulein Hamann begann nun erst recht zu erzählen. Sie hätte die letzten Jahre ja auch in Afrika verbracht, weswegen sie von Dettendorf auch aus den Augen verloren hätte. Und wo ich denn gewesen wäre, sie selbst hätte es nach Kenia verschlagen, wo sie ein Lazarett geleitet hätte und so weiter und so fort. Kipling liess sich dann auch noch von ihr alle Vorzüge einer Dampferreise gegenüber einer Segelreise nach Afrika erklären und so verging die Zeit im Nu. Schade, mir hätten Kipling‘s Klatschgeschichten besser gefallen!
Wir hatten unsere Kalte Platte noch nicht einmal halb aufgegessen, da war Detektiv Slecht auch schon wieder zurück, allerdings nur, um zu berichten, dass er praktisch nichts heraus gefunden hatte. Da liessen wir uns erstmal 2,50 RM von seinem Vorschuss über 5 RM zurück geben, zu verschenken haben wir nun ja auch nichts. Immerhin wissen wir jetzt, warum er so einen seltsamen Nachnahmen hat.

Also sind wir dann doch noch selber los, um dem Dr. und Fräulein Grotefeld unsere Aufwartung zu machen. Zwar trafen wir beide auch an, aber viel mehr, als dass es sich bei der Sammlung um Grabsteine mit Inschriften aus der Karolinger und Nerowinger Zeit handeln würde, war auch von ihnen nicht zu erfahren. Immerhin war Dr. Tleiwitz bereit, dem Professor zu telegraphieren und ihm mitzuteilen, dass noch zwei Personen mehr mitreisen würden. Wir haben Slecht als Archäologen verkauft und die Hamann ist ja tatsächlich Krankenschwester, die haben wir als meine persönliche Betreuung ausgegeben, die mit muss, um meine Sumpffieberanfälle zu betreuen. Dr. Tleiwitz besorgt ausserdem auch noch zwei Fahrkarten für beide.

Lieber Alfred, ich muss mich jetzt unbedingt hinlegen, denn wir haben uns Morgen um 6:45 Uhr auf dem Bahnsteig verabredet und wie du weißt, brauche ich meine 8 Stunden Schlaf. Ich werde von Zeit zu Zeit von Unterwegs aus schreiben, um dir zu berichten, was unsere Nachforschungen ergeben haben und vielleicht kannst du ja auch doch noch nachkommen.

Bis dann, Dein Maarten
Freitag, 6. Januar 1882
Brief an Gradmann
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Kaum zurück im Deutschen Reich werde ich dringlich in die Redaktion gerufen. Gleich am nächsten Morgen geht als nach Altenberg, eine Reportage über die Sammlung eines Prof. Wurtekaast anfertigen
Leipzig